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H E R Z T Ö N E  [1]

 

 

 

 

 

aus heiterem himmel

 

es war ein ganz normaler tag gewesen, wenn man normal nennen konnte, was sein normaler alltag war, da fragte sie ihn beim abendessen plötzlich aus heiterem himmel (wie man so schön sagt – der himmel draußen war aber eigentlich einigermaßen indifferent grau in diesem moment) :

weißt du eigentlich, was von dir bleiben wird? -

nichts besonderes war eigentlich vorgefallen, daß sie hätte auf diese frage kommen können. im fernsehen liefen gerade die nachrichten. man berichtete ausführlich über die hochzeit von prinz charles und camilla. sie hatten leicht hämisch die bilder aus windsor kommentiert, eine lustige, eigentlich peinliche situation bei der eigenen hochzeit erinnert (meine güte, das war ja mittlerweile auch schon ein paar jährchen her) … und da kommt sie mit dieser frage. was soll das denn jetzt, dachte er. –

was so in den hirnwindungen alles abläuft! – na, staub wird von mir übrig bleiben … steht schon in der bibel so, antwortete er erst einmal spontan. aber schon während er das sagte – wie von außen hatte er sich dabei zugehört – erschreckte er über das, was er da gerade gesagt hatte. – gottseidank klingelte in diesem moment das telefon. leo, ein alter freund noch aus schultagen war in der leitung, fragte, ob man sich noch auf ein bier treffen könnte, er sei grad mal wieder berufsbedingt auf der durchreise in der stadt, man hätte sich sicherlich einiges zu erzählen.

ich geh noch mal kurz raus, sagte er zu ihr, vielleicht wird’s auch ein bißchen länger, leo war am apparat. - es war ihm durchaus ein angenehmes gefühl, sie dabei etwas verdutzt zu sehen. er warf sich wortlos den mantel über die schulter, und eh sie noch eine weitere frage stellen konnte, zog er die haustür hinter sich zu.

ziemlich frisch die luft heute, dachte er, als er in die straße einbog, wo die kneipe lag, in der sie sich immer trafen, wenn leo auf durchreise war. es waren nur noch ein paar schritte, aber mit einem mal fühlte er sein herz klopfen. warum bin ich eigentlich so gerannt, dachte er …

und dann dachte er wieder an ihre frage beim abendessen …

 

(9. april 2005)

 

 

 

bahnhof

 

schon weit nach mitternacht.

leo hat es gut, dachte er, der hat keine frau, die einem unverhofft löcher in den bauch fragt.

der heimweg erschien ihm heute ziemlich lang, oder lag es nur an den einigen gläsern zuviel, die er mit leo geleert hatte? ja, man hatte sich viel zu erzählen gehabt, aber eigentlich hatte ihn angeödet, wie leo ständig nur von seinen erfolgen als verkaufsmanager berichtete. was ahnt der von kunst?, z. b. von der kunst zu leben. gut, er hat bestimmt ein dickeres portemonaie als ich, aber was macht er nur alles mit dem geld, das ihm seine firma da zusteckt? … er vergnügt sich in den puffs … kauft sich alle zwei jahre einen neuen bmw oder porsche … und sonst?

die kunst zu leben, versteht eben nicht jeder so wie ich, dachte er; leo, der „unbändige löwe“ (so hatten sie ihn schon damals genannt) ist eben als „leidenschaftlicher junggeselle“ (so seine eigenen worte) stets auf der pirsch, betrachtet das als lebenskunst. aber über all die jahre hat er aus unerfindlichen gründen nie aufgehört, an mich und meine kunst zu glauben, dachte er –

ein taxi hielt direkt neben ihm, das fahrerfenster surrte nach unten: kann ich sie irgendwohin fahren?

zum bahnhof, hört er sich sagen, als er einstieg.

 

(10. april 2005)

 

 

 

zwischenreich

 

als er aufwachte, war seine frau längst aus dem haus. das hatte sich in den jahren der beziehung so eingeschlichen. als „nachtlauscher“, wie er sich selbst gerne bezeichnete, fiel er manchmal erst ins bett, wenn sie schon fast wieder aufstehen mußte, um ihrem job nachzugehen.

als er die vorhänge aufzog, blendete ihn die sonne von einem strahlend blauem himmel. was soll man mit so einem tag anfangen, fragte er sich, zog den vorhang wieder zu und ließ sich zurückfallen ins bett.

nach wenigen minuten, so erschien es ihm jedenfalls, war wieder der dämmerzustand erreicht, den er so mochte, wenn sich das denken auflöste und überging in das zwischenreich fliegender leichtigkeit …

 

(11. april 2005)

 

 

 

im wartezimmer

 

er schaute auf die uhr: schon viertelvorzehn. er legte das buch beiseite, in dem er mehr nur aus langeweile und zum zeitvertreib gelesen hatte. (… na, eigentlich hatte er sich dabei doch auch irgendeine anregung erhofft, einen geistigen fußtritt sozusagen, einen anstoß, der dem verstreichenden tag zumindest einen kleinen sinn hätte geben können …) er stand auf, ging zum schreibpult, auf dem er in der schachtel noch eine letzte gauloise fand.  er zündete sie sich etwas umständlich an und stieß gedankenverloren eine große weiße qualmwolke in sein atelier. dabei fiel sein blick mal wieder mit einer mischung aus selbstmitleid und verzweiflung auf die weiße leinwand, die dort schon seit zwei-drei tagen auf der staffelei stand. elende malerei, dachte er und schlenderte zum fenster.

unten auf der straße knutschen sich zwei jugendliche unter dem gelben licht der laterne, andere kurvten mit ihren mopeds herum, schienen hämisch gestikulierend die kleine liebesszene stören zu wollen, aber alle geräusche der straße kamen hier oben hinter verschlossenem fenster nur ganz gedämpft an. er beobachtete die szene da unten einige minuten, aber genau genommen schaute er gar nicht richtig hin … ja, was wird von dir bleiben?, hörte er fee (so nannte er seine frau, wenn sie ihm besonders nah war) wieder sagen; diese frage bohrte sich wieder unentrinnbar in seinen kopf.

wenigstens ein paar ordentliche bilder hast du ja schon zustande gebracht in all den jahren, dachte er, ein paar davon hängen in arztpraxen, in den gängen von bundesbehörden, zwei haben es sogar in ein städtisches museum geschafft … also, das wird doch bleiben von dir, dachte er, aber im gleichen moment beschlich ihn der gedanke, dr. lehmfeld, sein hausarzt, der kürzlich bei ihm ein bild gekauft hatte, habe vielleicht nur aus mitleid für die angeschlagene finanzielle situation seines patienten gehandelt. als er ihn kürzlich wegen einer eigentlich harmloseren bronchitis aufsuchte, war man ins gespräch gekommen … und er hatte (es ist sonst eigentlich nicht seine art, fremden gegenüber zu klagen) seinem hausarzt von der beschissenen situation auf dem kunstmarkt berichtet, daß er nun schon seit neun monaten kein einziges bild verkauft habe …

paar tage später hatte dr. lehmfeld (eigentlich ein seltsamer name für einen arzt!) ihn im atelier aufgesucht und sich spontan für eines der bilder entschieden (eine arbeit aus dem letzten jahr, die er aber für besonders gelungen hielt, immerhin drei monate hatte er daran gesessen und so schien ihm die summe von 6000 Euro durchaus angemessen, als er eine nennen sollte … dr. lehmfeld zahlte ohne große diskussion bar auf den tisch). bei nächster gelegenheit muß ich mal schauen, ob er das bild überhaupt gehängt hat, dachte er.

im wartezimmer, das wäre ein angemessener und passender ort für meine malerei … gottseidank hab ich meine bittere selbstironie nicht verloren, dachte er und drückte dabei den knopf des mittlerweile ziemlich heruntergekommenen kofferradios, das zwischen verstreuten zeitungsartikeln, farbtuben und anderen utensilien auf der fensterbank an unverändertem ort stand, seitdem er vor ein paar jahren das atelier angemietet hatte. im wdr3 wurde gerade eine sendung über einstein und seine relativitätstheorie angekündigt.

 

(12. april 2005)

 

 

 

 

gedankensalat

 

na endlich, da ist es ja! –

schon einige zeit hatte er damit verbracht, ein kleine kladde zu suchen, von der er wußte, er hatte sie an einem sicheren ort (d. h. für fee nicht gleich auffindbar) verstaut. es war nur schon zu lange her, daß er sie das letzte mal in händen hatte, und so war ihm entfallen, wo sie versteckt lag. im hohlraum hinter der schiebe seines schreibpultes, war es ihm mit einem mal durch den kopf geschossen, und siehe da, diesmal hatte er sich nicht geirrt!

er nahm das heft, dessen dunkelblauer einband schon etwas blaß und abgegriffen war, strich mit der hand ein paar staubflocken vom deckel, und legte es auf die schräge fläche des schreibpultes. (übrigens ein tolles schnäppchen vom flohmarkt, auf dem er früher noch regelmäßig gestöbert hatte … solch feine möbelstücke findet man heute nur noch für eine schweinegeld beim antiquitätenhändler)

wo, verdammt noch mal, ist nun die zigarettenschachtel, dachte er, aber diesmal mußte er nicht lange suchen, ein griff in die brusttasche (eine schon fast automatische handbewegung), da war sie …

nach einem ersten tiefen zug an seiner gauloise, nahm er die kladde, setze sich in den schaukelstuhl und begann zu lesen.

meine güte, was du damals für wichtig gehalten hast, dachte er, was du dir da alles aufgeschrieben hast … ein richtiger „gedankensalat“ ist das … na, das steht ja auch auf dem einband … immerhin damals schon die selbstironie !

aber eigentlich suchte er ganz bestimmte einträge, an die er sich nur düster erinnerte. es waren die aus der kurzen, aber heftigen zeit mit lena. das muß kurz noch der heirat gewesen sein, da hatte er bei einer ausstellung (damals wurden meine neuen bilder noch regelmäßig in galerien präsentiert, dachte er) diese lena kennengelernt, ein wunderbar lebhaftes geschöpf, das ihn gleich nach den unvermeidlichen worten des galeristen zur vernissage angesprochen hatte. alle galeristen reden den gleichen schwachsinn bei solchen veranstaltungen, hatte sie gesagt, dabei gegrinst und mit einem leuchten in den augen (das waren augen, wie er sie noch nie gesehen hatte) nahm sie ihn beiseite und flüsterte ihm ins ohr: hi, ich bin übrigens lena, eine etwas verrückte lyrikerin. ja, das exakt waren ihre worte; er erinnerte sich plötzlich so genau an diesen moment, als sei es erst gestern gewesen.

auch der kritiker der örtlichen zeitung, der sich zwischen sie drängte, als sie grad ein gläschen wein vom buffet ergattert hatten und angeregt miteinander plauderten, fiel ihm wieder ein, seine leicht lispelnde hohe stimme, mit der er ihm sagte, ihre malerei ist gut, ja sogar verdammt gut, aber glauben sie nur nicht, daß irgend jemand diese schmierereien kaufen wird. das hatte gesessen … damals, dachte er. - ein bild hatte dann doch schon am gleichen abend einen roten punkt, was er mit einem gewissen siegesgefühl beim verlassen der ausstellungsräume registrierte. doch wer der potentielle käufer sei, wollte ihm der galerist partout nicht sagen; der käufer möchte anonym bleiben …

die meisten gäste waren schon gegangen. lena hatte es irgendwie geschafft, fast den ganzen abend in seiner nähe zu bleiben, und nun, als er gehen wollte, sagte sie, ich kenn eine feine kleine kneipe, nur ein paar schritte sind es bis dahin … trinken wir noch was zusammen. – kein schlechter vorschlag, sagte er und dachte, wie gut, daß diese ausstellung in oberhausen und nicht in köln ist, wo mich die szene kennt (man sieht ja bei solchen events eh immer nur die gleichen leute), dort wäre ich jetzt wohl mit ein paar freunden in der altstadt untergetaucht. aber oberhausen ist nicht köln, und so hatte er am abend nur ein bekanntes gesicht getroffen, einen kollegen aus düsseldorfer akademie-tagen. ein ziemlich steifer typ, hatte er gedacht, hat sich nicht geändert, alles andere als ein künstlertyp. kaum hatte man ein paar höflichkeiten ausgetauscht gehabt, war er auch schon wieder verschwunden gewesen. und jetzt stand er da mit dieser unglaublichen lena! – ja sie faszinierte ihn, ihre fast kindliche vergnügtheit, ihr freches lästern über die ach so kunstbeflissenen … das war erfrischend; und nun hab ich lena erst einmal für mich allein!, dachte er. –

es wurde ein langer abend und eine lange nacht … wie ein film begann sich alles abzuspulen. –

das lesen im eigenen „gedankensalat“ verschob er auf morgen. beim zuklappen der kladde streiften seine augen nur zufällig einen kurzen eintrag irgendwo rechts unten:

… blättere nie zu früh zur nächsten seite …

 

(13. april 2005)

 

 

 

 

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